Bezahlen oder dienen: Neue Perspektiven der Mobilisierung und ihre möglichen Auswirkungen auf die Macht

Die ukrainischen Behörden erwägen Änderungen der Mobilmachungsregeln, die Männer mit hohem Einkommen und regelmäßigen Steuerzahlungen vom Wehrdienst befreien sollen. Trotz fehlender öffentlicher Diskussionen hat diese Initiative bereits Empörung und eine Welle negativer Kommentare ausgelöst. Ökonomen sehen darin einen Versuch der Behörden, gleichzeitig die Probleme mit der Mobilmachung zu lösen und die Haushaltsfinanzierung zu sichern. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese Initiative, anstatt bestehende Probleme zu lösen, neue schafft, insbesondere angesichts bereits bestehender Diskriminierungsvorwürfe und des Versuchs, die Bevölkerung in Klassen einzuteilen, in denen nur die Armen Wehrdienst leisten sollen.

Das ukrainische Forbes berichtete über mögliche Pläne der Behörden, ein Reservierungsrecht für Bürger einzuführen, die monatlich etwa 6.000 Hrywnja an Einkommensteuer an den Staatshaushalt abführen. Die endgültige Fassung der Gesetzesänderungen steht noch nicht fest, es werden jedoch verschiedene Optionen geprüft.

Es wird darauf hingewiesen, dass der genannte Betrag einem offiziellen Gehalt von etwa 33.400 Hrywnja entspricht, was laut Angaben des Pensionsfonds mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Gehalts in der Ukraine beträgt. Laut dem Portal Work.ua liegt er zudem 65 % über dem Durchschnittsgehalt in Kiew.

Es wird auch die Möglichkeit erwogen, diejenigen von der obligatorischen Mobilmachung auszunehmen, für die der Arbeitgeber einen einzigen Sozialbeitrag (SSC) in Höhe von etwa 14,5 Tausend Hrywnja (entspricht einem Gehalt von 66 Tausend Hrywnja) zahlt.

Für IT-Sektor-Beschäftigte, die vom obligatorischen Dienst befreit werden sollen, wird eine Mindestgehaltsgrenze von umgerechnet 3.200 US-Dollar in Betracht gezogen.

Das Prinzip „Steuern zahlen oder Dienst leisten“ soll auch auf Einzelunternehmer angewendet werden, allerdings wurde die konkrete Ausgestaltung noch nicht festgelegt.

Eine Quelle der BBC Ukraine mit engen Verbindungen zum Präsidentenbüro bestätigte, dass solche Pläne diskutiert werden. Es wird darauf hingewiesen, dass die ukrainische Wirtschaft vor großen Problemen steht und es notwendig sei, sie irgendwie über Wasser zu halten.

Der Gesprächspartner fügt jedoch hinzu: „Ich bin aber dafür, 15 Millionen zu nehmen, das ist der Betrag, der für den Verstorbenen gezahlt wurde.“

Solche Änderungen könnten an einem wichtigen Gesetzentwurf zu neuen Mobilmachungsregeln vorgenommen werden, den Premierminister Denys Schmyhal vor Neujahr vorgelegt hat. Dieses Vorhaben hat bereits intensive Diskussionen ausgelöst und zahlreiche kritische Reaktionen hervorgerufen. Der Gesetzentwurf soll am 10. Januar im Ausschuss beraten und am 12. Januar in erster Lesung zur Abstimmung gebracht werden.

Eine schwierige Situation: Neue Herausforderungen für die Mobilmachung Im Dezember kündigte Präsident Wolodymyr Selenskyj an, dass das Militärkommando plant, in diesem Jahr fast eine halbe Million neue Rekruten einzuberufen.

Dies ist eine beachtliche Zahl, insbesondere angesichts der Herausforderungen, mit denen die Mobilisierung im vergangenen Jahr konfrontiert war.

Der Präsident betonte, dass die Kosten einer solchen Wehrpflicht 500 Milliarden Hrywnja betragen würden, und fügte hinzu, dass ein Wehrpflichtiger dem Einkommen von sechs Steuerzahlern im Hinterland entspreche. Um dieses Problem zu lösen, wurde in der Werchowna Rada ein Gesetzentwurf eingebracht, der die Senkung des Wehrpflichtalters von 27 auf 25 Jahre, die Vereinfachung der Wehrpflichtregistrierung und -mobilisierung sowie die Einführung strenger Sanktionen für die Sabotage der Wehrpflicht vorsieht.

Obwohl der Gesetzentwurf noch nicht einmal in erster Lesung zur Abstimmung gekommen ist, zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Diskussion im Parlament Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen werden dürfte.

Andererseits erfordert die Aufrechterhaltung einer Armee im Krieg, insbesondere die Aufstellung neuer Wehrpflichtiger, erhebliche finanzielle Anstrengungen. Die ukrainische Wirtschaft hat bereits schwer unter der russischen Invasion gelitten.

Das Haushaltsdefizit für 2024 beträgt 20 % des BIP des Landes. Fast alle Inlandseinnahmen fließen in die Bedürfnisse des Militärs. Die geplanten Militärausgaben für 2024 belaufen sich auf 1,6 Billionen Hrywnja, was der Hälfte der im Haushalt bewilligten Gesamtausgaben entspricht.

Die verbleibenden Mittel für Gesundheitswesen, Bildung und Sozialleistungen stammen traditionell von westlichen Partnern. Die Situation hat sich in diesem Jahr jedoch verkompliziert, da die USA und die EU noch keine milliardenschweren Finanzhilfeprogramme für das nächste Jahr genehmigt haben.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Gelder aus den USA und der Europäischen Union fließen werden, doch Zeitpunkt und Höhe der Zahlungen sind weiterhin ungewiss. Der ukrainische Finanzminister Serhij Marschenko betonte, die Lage sei nun noch schlimmer als zu Beginn der Invasion und rief zur Vorsicht auf.

Sollte das Budget aufgrund von Kürzungen der internationalen Hilfe um 5 bis 10 Milliarden Dollar fehlen, wird die Lage zwar schwierig, aber beherrschbar sein. Ein größeres Haushaltsloch zu stopfen, wird hingegen eine echte Herausforderung darstellen.

All dies stellt die Behörden vor eine schwierige Entscheidung: entweder schmerzhafte und unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen und damit ihre Zustimmungswerte und Popularität zu riskieren, oder die Position der Ukraine im Krieg mit Russland zu gefährden.

Ein brisantes Dilemma: Mobilisierung und soziale Gerechtigkeit

Bankovas jüngste Initiative hat unter Ökonomen eine Debatte ausgelöst. Sie sehen in diesem Schritt den Wunsch, die effizientesten Steuerzahler zu mobilisieren und gleichzeitig neue zu gewinnen.

Der Geschäftsführer des Zentrums für Wirtschaftsstrategie, Hlib Vyshlinsky, bezeichnete es auf Facebook als „den besten Anreiz zur Legalisierung von Löhnen in der Geschichte des Landes“. Der Ökonom Pavlo Kukhta sieht darin „einen Beweis für das kompetente Vorgehen der Behörden“ im wirtschaftlichen Abnutzungskrieg. Der Finanzexperte Serhiy Fursa kommentierte für BBC Ukraine und bezeichnete es als Schritt hin zu einer effektiveren Kriegsführung.

Fursa erklärt: „Der Staat muss bei der Entscheidung, wer dienen und wer im Hinterland bleiben soll, klare Kriterien anwenden. Eines davon ist die Steuerpflicht, denn auch die Armee wird über Steuern finanziert.“ Laut Fursa wird dies auch Menschen dazu ermutigen, sich freiwillig zu melden, da viele trotz ihres hohen Einkommens keine Steuern zahlen.

Doch schon am ersten Tag der Initiative tauchten zahlreiche empörte Kommentare in den sozialen Medien auf. Besonders scharf reagierten aktive Soldaten, von denen viele sich freiwillig an die Front gemeldet und dafür hohe Gehälter oder ihre eigenen Unternehmen aufgegeben hatten.

Die Gegner der Initiative sehen darin einen „Streik gegen Freiwillige“, der auf der Grundlage von Besitz diskriminiert und die Gesellschaft in diejenigen spaltet, die sich vom Militärdienst „freikaufen“ können, und diejenigen, die dies nicht können. Dadurch schaffe man eine Grundlage für soziale Unzufriedenheit.

Mobilisierung und soziale Gerechtigkeit sind angesichts der schwierigen Umstände derzeit besonders sensible Themen für die Ukrainer. Oleksiy Melnyk, Co-Direktor der außenpolitischen und internationalen Sicherheitsprogramme des Razumkov-Zentrums, merkt an: „Unsere Regierung versucht, strategische Probleme zu lösen, ohne an Popularität zu verlieren. Eine solche Aufgabe ist äußerst schwierig.“

Amerikanische Erfahrungen und Gerechtigkeit in der Mobilisierung: eine Diskussion in der ukrainischen Gesellschaft

In der Vergangenheit verfügten die Vereinigten Staaten über verschiedene Methoden, um die Fairness der Wehrpflicht zu demonstrieren und gleichzeitig den Haushalt aufzufüllen. Beispielsweise wurde während des Bürgerkriegs eine Lotterie zur Einberufung in die Armee durchgeführt. Wohlhabende Wehrpflichtige hatten die Möglichkeit, sich gegen eine hohe Geldsumme offiziell vom Dienst freizukaufen oder einen Ersatz zu finden. Verglichen mit dieser Praxis mag der Verzicht auf die Einberufung von Personen mit hohem Einkommen zwar „technologisch effizient“ sein, widerspricht aber möglicherweise dem Gerechtigkeitsbegriff der ukrainischen Gesellschaft.

Volodymyr Paniotto, Soziologe und CEO von KIIS, weist darauf hin, dass diese Methode zwar aus technologischer Sicht effektiv sein mag, in der ukrainischen Gesellschaft jedoch als unfair wahrgenommen werden könnte, da es Widerstand gegen die Gewährung bestimmter Vorteile an Wohlhabende gibt.

Der Finanzexperte Serhiy Fursa weist darauf hin, dass in dieser Frage ein Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Effizienz entsteht. Er meint, dass ein solcher Schritt zwar kontrovers sein mag, es aber darauf ankommt, wie Gerechtigkeit verstanden wird, und betont, dass auch dann Ungerechtigkeit vorliegt, wenn Menschen ihren Steuerpflichten nicht nachkommen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Anatoliy Amelin vom Ukrainischen Institut für die Zukunft ist der Ansicht, dass das Hauptproblem der Regierungsinitiative in ihrem fehlenden systematischen Ansatz und dem Fehlen einer umfassenden Mobilisierungsstrategie liegt. Er betont, dass ein solcher Ansatz zwangsläufig Unsicherheit und Unruhen in der Gesellschaft hervorrufen wird.

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